PHILOSOPHIERWERKSTATT

1. Gespräch

Gesellschaftlicher Kontext der Gesprächsproblematik Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce formulierte Ende des 19. Jhdts. ein Programm der Gemeinschaft von Forschenden, das Leitbild-Funktion für pädagogische Vorstellungen enthält: Ein gleichsam unendlicher Gesprächskreis, in den alle aufgenommen werden, die zur Sache etwas zu sagen haben (…). Ein solcher Gesprächskreis könnte mit einer kleinen Gruppe von Kindern in der Kita beginnen, eine gleichsam embryonische Erscheinung, der die Möglichkeit der endlosen Ausweitung innewohnt, das Modell für die prinzipiell unendliche Gemeinschaft des Gesprächs. Und es ließe sich zeigen, dass Kinder unter dem Vorzeichen der „veränderten Kindheit“ gerade die wechselseitige Vergewisserung der Wirklichkeit entbehren, die das Gespräch bietet. Was vermag mehr Substanz und Ordnung in ihre Vorstellungs-Welt zu bringen, die von einer Schwemme exotischer, unverarbeiteter Bilder aufgeweicht ist, wenn nicht das Gespräch? Daniel Goldhagen: “Die grundlegende Art und Weise, in der eine Kultur die Ordnung ihrer Welt begreift und repräsentiert, wird als ‚Gespräch’ bezeichnet.“ D. G., Hitlers willige Vollstrecker, Berlin 1996) Wilhelm von Humboldt sieht in der Sprache (ich übertrage: „im Gespräch“) Organon (Werk) und Ergon (Werkzeug) zugleich. Auf dem Hintergrund dieser Feststellung verfolgt das Gespräch als Werk in seiner ästhetischen Gestalt unmittelbar Ziele des Ethik-Unterrichts und des Philosophierens mit Kindern. Entlang dieser Argumentationslinie könnte wohl die besondere Hinwendung der Pädagog*innen zu Dialog und Diskurs einschließlich einer kultivierten Gesprächsdidaktik nicht nur im Ethik-Unterricht begründet werden. Beide Elemente – das Gespräch als zentrales Medium der Geistesgeschichte (Humboldt) und das Gesprächsdefizit in der modernen „veränderten Kindheit“ (laut aktueller BMFSFJ-Studie pro Tag 47 Minuten Gesprächszeit mit Kindern in der Familie!) ergänzen sich. „Kinder brauchen Gespräche“ könnte in Anlehnung an Bettelheim („Kinder brauchen Märchen“) das Motto lauten, zumal in einer Zeit, in der das Gespräch innerhalb der Gesellschaft nur mangelhaft gepflegt wird. Die Schule und damit der philosophisch orientierte Unterricht, aber auch die Kindertagesstätte würden eine Art „Insel“ inmitten des Stroms der Gesprächslosigkeit darstellen, ähnlich wie sie der Vorstellung Neil Postmans zufolge den althergebrachten, „harten“ Lehrplan der Bücher, der Anstrengung des Begriffs und der Mühsal des Übens aufrecht erhält inmitten der Wellen des „weichen Lehrplans“ des Fernsehens und des Internets, der das Bewusstsein der Heranwachsenden einer sanften Gehirnwäsche unterzieht. In diesem Zusammenhang würde durch sokratische, philosophierende Gespräche die Zerstörung der Erfahrung erst thematisierbar. Den Unterricht ent-trivialisieren heißt deshalb, die Kinder lehren, legitime Fragen zu stellen, deren Antworten nicht schon vorher bekannt sind! Ebenen, Ziele und Methoden des Gesprächs Die Aussagen von Michael Fröhlich, von David Kennedy (Northern Michigan University) und Hilbert Meyer werden in einen Zusammenhang der Gesprächsentwicklung auf drei Ebenen gebracht und mit den jeweiligen Möglichkeiten von Gesprächsformen verbunden. Fröhlich spricht in Anlehnung an Klafki vom didaktischen Dreischritt „Entwicklung, Erprobung, Prüfung“ des Philosophierens, Kennedy von den drei Dimensionen des philosophischen Gesprächs, wobei die erste Dimension wesentlich konzeptuell, also inhaltlich definiert ist, die zweite sich auf nützliche Fertigkeiten und Dispositionen auf philosophischer Ebene bezieht und die dritte schließlich für das Zusammenwirken der Individuen, die Interaktion der Individuen in einer „community of inquiry“(Forschungsgemeinschaft) Bedeutung hat, woraus sich auch die ästhetische Gestalt eines philosophischen Gesprächs ergibt. Hilbert Meyer führt das unterrichtsmethodische Modell des „dreischrittigen Lehrgesprächs“ ein, das im Kern ein fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch darstellt und hier deswegen Erwähnung findet, weil viele Lehrkräfte, die über keine oder wenig Erfahrung mit der philosophischen Gesprächsform verfügen, häufig ein vertrautes Gerüst benötigen, um sich zurechtzufinden. Struktur eines philosophischen Gesprächs (nach D. Kennedy) Gesprächskompetenzerwerb als Lernziel für alle Unterrichtsfächer Günstige Rahmenbedingungen für den Erwerb von Gesprächskompetenz lassen sich dann schaffen, wenn Gespräche sich vom gewöhnlichen Unterrichtsbetrieb unterscheiden: Die Leistungsmessung bleibt außen vor, das Diktat der Trivialität des Stoffes hört auf. Ein Beispiel sind jene meta-unterrichtlichen Phasen, die über den „offenen Unterricht“ in manche Grundschulen Eingang gefunden haben. Gesprächskreise zu Beginn der Woche, bei denen die Kinder Interessantes berichten, jeden Morgen stattfindende Kreisgespräche zur Vorbereitung des Unterrichts, der gemeinsame Rückblick am Ende der Woche bilden herausgehobene Phasen, in denen das selbständige Miteinander-Verhandeln geübt werden kann, vor allem dann, wenn die Gesprächsleitung bei den Kindern liegt, wenn sie im Lauf der Zeit reihum geht, und wenn die Kunst der Gesprächsleitung selbst zum Gegenstand des Nachdenkens und des Gesprächs wird.

Zehn Verhaltensformen, die für das Zustandekommen einer

"Gesprächsgemeinschaft" dienlich sind (Raster für Unterrichtsgespräche)

(Helmut Schreier)

1. Fragen stellen, die zur Sache führen Unstimmigkeiten, Widersprüchliches an einer Darstellung aufdecken und in einer Frage "auf den Punkt" bringen. 2. Vermutungen äußern, die eine Erklärung geben Es geht um die Kunst, Hypothesen zu bilden, die einen Zusammenhang beschreiben, der durch die einzelnen verfügbaren Daten und Beobachtungen nur bruchstückhaft in den Blick gerät. 3. Eine Meinung nicht ohne überzeugende Begründung vortragen Das Minimum an argumentativem Verhalten besteht darin, für jede vorgetragene Meinung eine Begründung zu geben, die nachvollziehbar und sachangemessen ist. 4. Beispiele und Gegenbeispiele liefern Mit Hilfe eines geschilderten Falles einen Beleg für das vertretene Prinzip oder Konzept geben, oder für ein entgegengesetztes Prinzip oder Konzept. 5. Angemessene Analogien bilden Es geht um die Kunst, ähnliche Muster und Situationen zu finden, die geeignet sind, die verhandelte Frage zu beleuchten oder einen neuen Aspekt ins Spiel zu bringen. 6. Ideen aufgreifen, die von anderen vorgetragen worden sind Gedankenstränge kooperativ stärken und weiterspinnen, die von anderen vorher ins Spiel gebracht wurden. 7. Die "andere Seite" anhören Statt sich zu verschließen, wenn die eine Seite eines Arguments plausibel vorgetragen worden ist, sich trotzdem für den Vortrag anderer Perspektiven offenhalten. 8. Vernünftige Kritik annehmen Die eigene Position nicht um jeden Preis verteidigen, sondern sich entgegengesetzte Auffassungen anhören, Argumente dafür und dagegen abwägen. 9. Andere Teilnehmende als Personen respektieren und ihnen das Recht auf Achtung erhalten Negative Kritik auf das vorgetragene Argument beschränken, aber die Person, die es vorgetragen hat, als Mensch wertschätzen, unabhängig von den negativen Gefühlen, die das Argument vielleicht ausgelöst hat. 10. Urteile fällen, die Ansprüchen von Verstand und Vernunft gerecht zu werden versuchen Bewertung und Beschreibung, Kritik und Einsicht in eine Art "Zwischenbilanz" einbeziehen. Zur Einübung der Technik des Zuhörens und der Entwicklung des Verständnisses seiner Bedeutung für das Zustandekommen einer Gesprächsgemeinschaft eignet sich besonders Berrie Heesens Denkgeschichte „Reden und zuhören“ (Berrie Heesen, Klein aber clever. Nachdenken und Philosophieren mit Kindern. Verlag an der Ruhr. Mühlheim 1998) „Fünf Finger einer Methodenhand“ des Philosophierens /E. Martens Wahrnehmen (Phänomenologische Kompetenz) von Alltagserfahrungen ausgehend ein Problemvorverständnis durch Schilderung von Beobachtungen und Wahrnehmungen auf die konkrete Lebenswelt beziehen o differenziert und verständlich beschreiben, was sie oder andere beobachten, erfahren, wahrnehmen oder bei sich denken o verschiedene Sichtweisen erkennen, Handlungsspielräume und den symbolischen Gehalt erlebter Situationen wahrnehmen Kreatives und fantasievolles Denken über die reine Erfahrung hinaus (Spekulative Kompetenz) Gedanken und Assoziationen in Bildern, Geschichten und Spielen entwickeln und so die vielfältigen Möglichkeiten des diskursiven und präsentativen Denkens erfahren o ungeschützte Einfälle und Fantasien äußern und spielerisch erproben sowie neue Ideen oder Hypothesen entwickeln o kreative/fantasievolle Verhaltensalternativen finden und ausführen Deuten (Hermeneutische Kompetenz) sich das eigene und fremde Vorverständnis bei der Lösung von Problemen bewusst machen, alternative Deutungen in Überlegungen einbeziehen, vor diesem Hintergrund eigene Problemfragen stellen und so ein Problemvorverständnis zur Geltung bringen o bei der Interpretation von problemorientierten Texten eigene, alltägliche Ansichten und Deutungen heranziehen o den eigenen Standpunkt überprüfen, Ursachen und Folgen des eigenen Handelns erkennen und begründen Untersuchen und Zergliedern von Sachverhalten (Analytische Kompetenz) Lösungen zu einer ausgewählten Frage finden und Antworten sammeln o bei Beschreibungen und Deutungen verwendete, zentrale Begriffe und Argumente hervorheben und prüfen o Begriffe bestimmen, Analogien und Parallelen bilden und Symbole für einen Begriff finden Denken in Gegensatzbegriffen (Dialektische Kompetenz) zwischen Lösungen wählen und bevorzugte Lösungen formulieren und begründen o unterschiedliche Positionen in Form von Alternativen und Dilemmata zuspitzen und miteinander eine Entscheidung abwägen o Hypothesen überprüfen, Tauglichkeitsprüfungen von Alternativen vornehmen und mit Vereinbarungen umgehen 2. Sokratisches Gespräch Eine besondere Form der Gesprächsführung ist das „Sokratische Gespräch“. Beispiel: Sokratisches Gespräch zur Klärung des Begriffs „Kunst“ (nach Methode Detlef Horster, eignet sich für Kinder am ehesten) Ziel dieses Gesprächs ist es, die Meinungen der TeilnehmerInnen über alles, was Kunst ist, zu überprüfen, zu präzisieren und vielleicht zu verwerfen. Diese Meinungen sind partikulare Meinungen, bezogen auf Sachverhalte, gesellschaftliche Normen oder ästhetische Äußerungen. Diese Meinungen können nicht universell sein, weil jeder aufgrund seiner eigenen, unverwechselbaren Sozialisations- und Lebensgeschichte eine andere Weltsicht hat, die nur darum verhandelbar ist, weil sie eingegrenzt wird durch den kulturellen Rahmen, der uns allen gleichermaßen gegeben ist. Demgegenüber wird Wahrheit ihrer Natur nach als universell angesehen. Ausgehend von den partikularen Auffassungen wird etwas gesucht, worin alle übereinstimmen können. Diese Suche findet auf dem Wege der Abstraktion statt. Wahrheit im Sokratischen Gespräch heißt, dass es die Wahrheit für diejenigen ist, die in der Runde sitzen. Und das auch nur für die Zeit, in der das Gespräch geführt wird. Der erste Schritt im Abstraktionsprozess ist das Sammeln von Eigenschaften: “Welche Eigenschaften für ein Kunstprodukt könnt ihr in diesem Beispiel (gewöhnlicher Tisch in einer Schulklasse, etc.) erkennen?“ Der zweite Schritt auf dem Abstraktionsweg ist das Zusammenfassen der bisher gesammelten Eigenschaften und wenn nötig, das Sondern der Eigenschaften von den Voraussetzungen und Folgen. Es lassen sich etwa in diesem Schritt die Attribute für ein Kunstprodukt von den Attributen für ein Nicht-Kunstprodukt sondern. Der dritte Schritt ist die Frage nach weiteren Beispielen: „Seht euch die gesammelten Eigenschaften genau an und fragt auf dem Hintergrund eigener Beispiele, die euch jetzt einfallen, ob noch Eigenschaften fehlen.“ Dadurch soll das genaue Hinsehen geübt werden, das oberflächliche Betrachtungsweisen vermeiden hilft. Der vierte Schritt ist das Trennen von notwendigen und hinreichenden Eigenschaften. Notwendige Eigenschaften bei der Wesensbestimmung sind solche, die, würde man sie der Sache wegnehmen, dazu führen, dass es sich nicht mehr um diese Sache handelt, sondern um eine andere. Abstraktion heißt nun, dass wir die zufälligen Eigenschaften herausnehmen: „Denkt bitte jetzt nach, welche dieser Eigenschaften an jedem nur denkbaren Kunstprodukt erkennbar ist!“ Dann werden die Eigenschaften einzeln abgefragt: „Ist diese Eigenschaft an jedem nur denkbaren Kunstprodukt erkennbar?“ Auch hier ist der Ort für Argumentation. Der fünfte und letzte Schritt ist die Erarbeitung von wesentlichen Kriterien: „Wodurch kann ich einen Kunstgegenstand von jedem anderen beliebigen Gegenstand unterscheiden?“ Werden diese Kriterien genannt (Beispiel: -Bedeutung, die über das Geschaffene, Form und Funktion, hinausweist – zu Kunst erklären), ist es möglich, ein Kunstprodukt von allen möglichen anderen Produkten zu unterscheiden. Mit diesen Kriterien hätten wir eine Begriffsbestimmung eines „Kunstproduktes“ vorgenommen, die das Wesentliche enthält. Dieses Beispiel eines Sokratischen Gesprächs ist auf Erwachsene zugeschnitten, lässt sich aber ohne Schwierigkeiten auf die Bedingungen eines 3. oder 4. Schuljahres transformieren. Das Sokratische Gespräch eignet sich in besonderer Weise für Begriffsbestimmungen bzw. –klärungen. 3. Gedankenexperimente Bedeutung des Gedankenexperiments für Erkenntnis- und Wissenserwerb PhilosophInnen gelten als SpezialistInnen für Gedankenexperimente und „mögliche“ Welten. Da die äußere Welt arm an möglichen, physischen Abenteuern für Kinder ist und diese sich zunehmend in künstliche Medienwelten flüchten, gewinnt diese Methode, Fäden von der wirklichen Welt in mögliche Welten zu spinnen, einen besonderen Reiz. Die Rückkehr aus der Abenteuerreise in die Wirklichkeit, ausgestattet mit den Flügeln der Fantasie und dem Kompass des urteilenden Verstandes bewirkt nicht selten die wertvolle Erkenntnis im Sinne Lichtenbergs: „Es könnte alles ganz anders und besser eingerichtet sein.“ Die Bedeutung von Fantasie, Vorstellungskraft, Einbildungskraft oder Imagination für das Gedankenexperiment veranschaulicht Eisler in seinem „Wörterbuch der Philosophie“, indem er Fantasie als „Betätigung des Geistes im Sinne der relativ selbständigen, vom Gegebenen mehr oder weniger abweichenden anschaulichen Synthese, Kombination von Vorstellungselementen zu neuen Gebilden und Zusammenhängen“ umschreibt. „Die Phantasie hat ihre eigene ‚Logik’, ihre eigenen einheitlich anschaulichen Zusammenhänge und ist zuhöchst eine Richtung derselben Geisteskraft, die im Denken zum Ausdruck kommt.“ John Dewey: „Die eigentliche Funktion der Imagination ist das Erkennen der Realität und von Möglichkeiten, die nicht unter den normalen Bedingungen der sinnlichen Wahrnehmung zutage treten können. Ihr Ziel ist, das Vergangene, Abwesende, Dunkle zu erhellen. Die bildhafte Schau und der verknüpfende Gedanke bilden nach Aby Warburg neues Wissen, menschliche Erkenntnis entsteht nach Hume und Kant aus dem Zusammenspiel von Sinneseindrücken oder Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Verstand. Einbildungskraft ist eine Grundvoraussetzung für die Bewältigung von Gedankenexperimenten. Der Fähigkeit, durch das Tatsächliche hindurch das Mögliche zu erkennen, verdankt der Mensch sich selbst und seinem bisherigen, evolutionären Erfolg. Ohne sie wäre sein Handeln niemals über das Niveau der Reflexe und Instinkte hinausgelangt. In der Entwicklung des Möglichkeitssinns sollten wir deshalb eines der vornehmsten Ziele von Bildung erblicken, denn er schärft nicht nur die sinnliche Wahrnehmung, sondern ist auch eine exzellente Schulung des analytischen Denkens. Nach Christian Wolff besteht das Geschäft der Philosophie darin, das Denkbare zu denken, das Mögliche in seiner Möglichkeit zu bestimmen, die „Bedingungen der Möglichkeit“ von etwas zu rekonstruieren, mit anderen Worten, das, woran wir glauben wollen, als möglich einzusetzen. Wesen des Gedankenexperiments Das Experiment ist ein kreatives Spiel mit dem Gegebenen. Im aturwissenschaftlichen Experiment spielen wir mit der Natur; wir wirken bewusst auf die objektive Wirklichkeit ein und verändern diese; dabei stellen wir der Natur eine kontrafaktische Frage (was würde geschehen, wenn...), mit der wir einen möglichen Sachverhalt unterstellen, worauf ja der Begriff Hypothese hindeutet. Am Anfang und Ende eines Experiments steht die Überlegung, das Denken. Einbildungskraft schafft nicht ziel-, plan- und zusammenhanglos, sondern schöpferisch und spielerisch-experimentell, indem sie eine mögliche anschauliche und gedankliche Struktur entwirft, die der Verstand dann auf Widerspruchsfreiheit, innere Stimmigkeit, Sinn und Plausibilität überprüft. Gedankenexperimente sind Ausflüge der Fantasie und des Verstandes in mögliche Welten. Hans Poser unterscheidet fünf Typen von Gedankenexperimenten: das realisierbare und realisierte, das realisierbare, aber nicht realisierte, das nicht realisierbare, das absurde und das fiktive. Nutzen von Gedankenexperimenten für einen philosophisch orientierten Unterricht und Gespräche mit Vorschulkindern Philosophieren heißt mit Gedanken spielen, Gedanken analysieren, sie nach Regeln variieren, sie mit anderen Gedanken verflechten, die Verknüpfungen von Gedanken auf ihre Reiß- und Zugfestigkeit zu testen und die Standfestigkeit von Gedankengebäuden zu überprüfen und ähnliche Operationen auszuführen. Daniel Dennett: „Es ist in der Tat eine der höchsten Berufungen der Philosophie, Mittel und Wege zu finden, um den Menschen zu helfen, den Wald und nicht nur die Bäume zu sehen.“ Mit Hilfe von Gedankenexperimenten lassen sich neue Fragen stellen, Beweisführungen entwickeln, implizite Annahmen aufdecken, Folgen von Setzungen durchspielen, Zusammenhänge aufklären, allgemeine Prinzipien demonstrieren, Denkmöglichkeiten erforschen, u. ä. . Wer Gedankenexperimente ausführt, erkundet ausgehend von den Erfahrungen des Wirklichen das Mögliche, um dem Notwendigen bzw. Nicht-Notwendigen, dem Kontingenten oder Zufälligen auf die Spur zu kommen. Gedankenexperimente als „Intuitionspumpen“ haben neben ihrer Erkenntnis- auch eine bedeutsame pädagogisch-didaktische Funktion. Ihre Anschaulichkeit und Konkretheit, ihr nicht selten phantastischer und bizarrer Charakter und ihr emotionaler Gehalt „versüßen“ das in ihnen verschlüsselte philosophische Problem und locken den philosophischen Neuling zu Ausflügen in mögliche, gedankliche Welten, die seine ganze Denk- und Vorstellungskraft herausfordern. Da man mit Kant und Wittgenstein zufolge nicht Philosophie, wohl aber philosophieren lernen kann, kommt alles auf das Erlernen des philosophischen Tuns, das im Experimentieren mit Gedanken (und mit Sprache) besteht, an. Gianni Rodari zitiert Novalis’ Wort „Hypothesen sind Netze, nur der wird fangen, der auswirft“: „Die Wirklichkeit kann man durch den Haupteingang betreten, aber auch durch ein Fensterchen in sie hineinschlüpfen, was viel vergnüglicher ist.“ Beispiele für ein Gedankenexperimente: „Wenn alle Dinge zu Rauch würden“... Begrenztheit der sinnlichen Wahrnehmung im Hinblick auf die Möglichkeit von Erkenntnis, Wissen und Wahrheit. „Wenn alle Menschen in Dörfern lebten ... Abhängigkeit menschlichen Denkens, menschlicher Lebenswirklichkeit von seiner Lebensumwelt. Ernst Mach, „Erfinder“ des Begriffs „Gedankenexperiment“: „Der Projektemacher, der Erbauer von Luftschlössern, der Romanschreiber, der Dichter sozialer und technischer Utopien experimentiert in Gedanken. Aber auch der Kaufmann, der ernste Erfinder oder der Forscher tut dasselbe. Alle stellen sich Umstände vor und knüpfen an diese Vorstellung die Erwartung, Vermutung gewisser Folgen; sie machen eine Gedankenerfahrung. Während aber die ersteren in der Phantasie Umstände kombinieren, die in Wirklichkeit nicht zusammentreffen, oder diese Umstände von Folgen begleitet denken, welche nicht an dieselben gebunden sind, werden letztere, deren Vorstellungen gute Abbilder der Tatsachen sind, in ihrem Denken der Wirklichkeit sehr nahe bleiben. Auf der mehr oder weniger genauen unwillkürlichen Abbildung der Tatsachen in unseren Vorstellungen beruht ja die Möglichkeit der Gedankenexperimente. Beispiel für unser Thema: Kinderbuch „Paul allein auf der Welt“, 4. Szenische Interpretation (Ingo Scheller) Eine verhältnismäßig neue Methode, Texte gedanklich zu erschließen, ist das „Szenische Interpretieren“, das im Unterschied zum diskursiven vornehmlich das präsentative Denken verlangt. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Texten aus dem Leserepertoire der Grundschule, der verschiedenen Jahrgangsstufen und der zeitlichen Möglichkeiten innerhalb eines philosophisch orientierten Unterrichts(in Einzelfällen auch in der Kita möglich und erprobt) schlage ich die folgenden Methoden des szenischen Interpretierens vor: Standbild als Unterbrechen von Handlungsabläufen Diese Standbilder entstehen durch Unterbrechen von Handlungsverläufen an bestimmten Stellen durch „Stopp-Rufe“. Die Spielenden erstarren in ihren Haltungen. Das Ganze gleicht einem Schnappschuss. Mögliche Deutungen: Erkundung von Gedanken und Gefühlen, indem die Spieler aus ihren Rollen heraus sagen, was sie gerade denken. Die Projektionen der Beobachter werden sichtbar gemacht, indem diese nacheinander hinter die Personen treten, ihnen die Hand auf die Schulter legen und in Ichform sagen, was diese ihrer Meinung nach gerade denken. Standbild als Einnehmen und Zeigen von Haltungen Die Teilnehmer erstarren in Haltungen, die zeigen, wie sie zu bestimmten Situationen, Personen und Ereignissen stehen. Die Spieler entscheiden selbst über ihre Haltung und suchen nacheinander ihre Position auf. Sie verlassen das Standbild in umgekehrter Reihenfolge. Mögliche Deutungen: Gedanken und Gefühle öffentlich machen, indem die Spieler aus ihrer Rolle heraus sagen, was sie gerade denken und empfinden. Projektionen der Beobachter verdeutlichen(siehe oben)und Spieler veranlassen, jene Zuschreibungen zu benennen, die ihren Vorstellungen am nächsten kommen. Fragen der Beobachtenden an einzelne Personen im Standbild. Die Antworten erfolgen aus der jeweiligen Haltung heraus. Situationsbezogene Standbilder Situationen werden auf einen bestimmten Moment zugespitzt als Bilder aufgebaut und gestaltet. Die Hauptspielerin sucht aus der Gruppe die Darstellerinnen aus und formt deren Haltungen. Dabei wird nicht gesprochen. Haltungen werden modelliert, die Mimik hingegen vorgemacht und anschließend „eingefroren“. Mögliche Deutungen: Zunächst erläutert die Hauptspielerin ihr Standbild in Bezug zu dargestelltem Text und /oder Bild. Um welche Situation geht es? Was geschieht? Wo und wann genau findet die Szene statt? Wer sind die Personen und was machen sie gerade? Die Hauptspielerin tritt nacheinander hinter die dargestellten Personen, legt ihnen die Hand auf die Schulter und spricht ihre Gedanken aus. Abweichende Deutungen von Beobachtern und Spielerinnen werden ausgesprochen. Statuen bauen Statuen sind Skulpturen bzw. Denkmäler. Sie zeigen den Grundgestus, den Titel von Szenen, Haltungen, Beziehungen. Sie abstrahieren, verallgemeinern und bringen bildlich auf den Begriff. Szenisches Lesen Der Text wird gelesen, indem reihum jeweils ein Satz vorgetragen wird. Dabei sollen unterschiedliche Intonationen erprobt werden. Dadurch können unterschiedliche Haltungen und Bedeutungen sichtbar gemacht werden. Daraus entstehen Rollenvorstellungen, die die Beziehungen zwischen Personen bzw. Positionen definieren. Szenisches Spiel Spieler handeln aus detaillierten Rollen- und Szenenvorstellungen heraus in vorgestellten Situationen. Es geht nicht nur um die szenische Erkundung und Darstellung, sondern auch immer um das, was die Spieler in der Rolle und der Szene von sich zeigen und erfahren. Alle Aussagen zitiert nach Ingo Scheller, Szenisches Spiel, Berlin 1998

Szenisches Interpretieren am Beispiel des Kinderbuchs

„Was ist das? fragt der Frosch“, Max Velthuijs, Verlag Sauerländer

1. Es handelt sich stets um die Inszenierung von Situationen, in denen Kinder ihre Vorstellungen zu einem Thema symbolisieren. 2. Verhaltensmuster werden von Kindern angeeignet und erprobt. 3. Bei Vorschulspielen (Rollenspielen) handelt es sich jeweils um erlebte, nicht symbolisierte Realität, da diese nicht reflektiert wurde. 4. Szenisches Spiel ist symbolisierte Handlung, aus der das Kind immer wieder aussteigen kann. 5. Im Spiel wird aus der Rolle eine Figur, im Handeln werden über das Leibgedächtnis frühere Erfahrungen aktiviert. 6. Szenisches Interpretieren könnte die dem Philosophieren adäquate Form der präsentativen Deutung sein (im Unterschied zur diskursiven).

Das Beispiel zum o.g. Kinderbuch:

Die Kinder denken über Tiernamen nach, suchen sich ein Tier aus, interviewen sich gegenseitig. Körperhaltung, Gestik, etc. des ausgesuchten Tieres werden geübt. Jedes Kind interpretiert sein „Schwein“ selbst (soziale Komplexität einer Lerngruppe wird sichtbar). Es stellt sein „Schwein“ vor. Es werden Bilder des Buches eingefügt, z. B. „Wie geht der Hase?“ Es wird ein entsprechender Raum mit wenigen Hilfsmitteln als Spielfläche umgebaut, die Kinder beschreiben den Raum, z. B. anhand der Frage „Wo ist die Landschaft (aus dem Buch)?“ Tiergruppen sitzen in vier Ecken, während das Buch vorgelesen wird. Die Geschichte wird an bestimmten Stellen unterbrochen und die Frage gestellt: „Was denkt das Tier gerade?“ Die Antworten der Kinder sollen sich in der Regel auf einen Satz beschränken. Beispiel: Der Frosch steht auf der Leiter. Was denkt er? Auf diese Weise wird ein „innerer Dialog“ ausgelöst. Es wird das eingebracht, was das Leben außerhalb des Bilderbuchs darstellt. Beispiel einer weiteren Unterbrechung: Entdeckung der toten Amsel. Eine situationsbezogene Rollenbefragung ist an dieser Stelle angebracht. Der Frosch steht vorn (oder sitzt auf einem Stuhl), die Kinder treten mit situationsbezogenen Gedanken, die für den Frosch in „Ich“-Form ausgesprochen werden, hinter den Frosch. Die Äußerungen werden von der Lehrkraft zu einem Stimmenorchester komponiert und dirigiert. Die Kinder werden von der Froschfigur je nach Bedeutung ihrer Antworten für den Frosch nach vorn, in die Mitte oder nach hinten gestellt. Wir lernen, was Kinder tatsächlich in der Rolle denken und geben ihnen dabei „Rollenschutz“. Während des Stimmenorchesters reflektiert die Figur unwillkürlich über die Frage: “Was passiert in mir?“ Wir können auf diese Weise etwas auf einen Begriff bringen, ohne einen Begriff zu machen. Die Beerdigungsrituale werden gespielt, das Nachstellen kann zum Beispiel in Geschlechtergruppen erfolgen. Es wird eine bestimmte Haltung fixiert, wodurch das Aufkommen der Gefühle, zum Beispiel Trauer, ermöglicht wird (Standbild). Die Schlussszene sollte gespielt oder als Standbild dargestellt werden. Texttheater Eine Alternative zum Vorlesen und eine Übung zum Erwerb von Deutungskompetenz: Das TEXTTHEATHER! Welche Spielregeln gelten für das Texttheater? Die wichtigste Spielregel lautet, dass der Wortlaut der Zitate nicht verändert werden darf, wohl jedoch durch Art und Weise des Vortrages variiert und dadurch in seiner Aussage bekräftigt, verfremdet oder karikiert werden soll: Die Zitate können monoton oder gehetzt, im Sing-Sang, mehrfach wiederholend, unterschiedlich betonend vorgetragen werden Sie können im Befehlston, in Frageform, ironisch, sarkastisch oder naiv vorgetragen werden Die gewünschte Deutung des Zitats kann durch Körpersprache, Pantomime, durch Sprechpausen, rhythmisches Klopfen, usw. verdeutlicht werden Variierendes Wiederholen Polarisieren durch Gegenüberstellung einander widersprechender Zitate. Es finden Deutungen auf zwei Ebenen statt: Durch den Dirigenten und individuell durch jede Mitwirkende. Eva Zoller Morf, die Schweizer Kinderphilosophin, sieht den Beginn einer philosophischen Denkbewegung stets im „Hinterfragen einer gegebenen Situation“. Genau dazu bietet das Texttheater vielfältige Möglichkeiten. Mit anderen Worten: Wir erleben mehr als das, was sich durch mechanisches Dekodieren eines Textes erreichen lässt!! Zudem verhilft es Kindern, auch wenn sie nur wenige Vorkenntnisse mitbringen, zu einem zugleich spielerischen und aktiv –fragenden Umgang mit Texten. Szenische Interpretation von Bildern Bilder bringen in erstarrter Form und in einer bestimmten Perspektive Momente einer Geschichte zur Erscheinung. Als Ausschnitte, Reduktionen und Interpretationen geben sie visuelle Einblicke in Lebensräume, natürliche und soziale Zusammenhänge, in Gegenstände, Haltungen und Handlungen von Menschen unterschiedlicher Epochen, Kulturen und Schichten. Bilder werden gemacht: Die Wahl des Motivs, die Inszenierung des Ausschnitts, die Festlegung der Perspektive, die Darstellungsweise und das Material ermöglichen eine Vielzahl von Realitätstäuschungen und Inszenierungen ökonomisch und ideologisch verwertbarer Vor-Bilder der Selbstdarstellung, Identitätsbildung und Wunschbefriedigung. Bei der szenischen Interpretation werden Bilder als Momentaufnahmen von Szenen aufgefasst, die sich die Teilnehmer vorstellen, in die sie sich einfühlen, in denen sie handeln, die sie perspektivisch erleben, verfremden und historisieren. Dabei kann ihnen nicht nur bewusst werden, dass Bilder perspektivische und interessengeleitete Entwürfe und Konstruktionen sozialer Wirklichkeit sind, sie können auch erfahren, welche Wünsche, Bedürfnisse und Lebensentwürfe durch Bilder bei ihnen angestoßen und in bestimmter Weise interpretiert werden. Sucht euch das Bild aus, das euch am meisten anspricht. Baut es als Standbild auf und sucht den Ort im Bild oder außerhalb des Bildes, der euch am meisten interessiert. Erläutert im Gespräch mit dem Spielleiter eure Sichtweise. Schaut euch die Bilder genau an. Achtet dabei vor allem auf die Kleidung, die Körperhaltungen und die Interaktionen der abgebildeten Personen. Stellt euch vor, ihr seid genauso gekleidet. Erprobt entsprechende Geh-, Steh- und Sitzhaltungen sowie Interaktionsweisen. Sucht euch ein Bild aus, das ihr genauer interpretieren wollt - zusammen mit Partnerinnen. Schaut euch das Bild genau an und klärt die abgebildete Situation so genau wie möglich. Baut mit Hilfs-Objekten den Raum auf, beschreibt ihn de- tailliert und sucht den Ort und die Haltung, die ihr im Raum einnehmen würdet. Begründet eure Position. Verteilt die Rollen der Personen, die auf dem Bild sicht- bar sind. Eine übernimmt die Rolle der Malerin bzw. Fotografin. Schaut euch die Person, in die ihr euch einfühlen wollt, noch einmal genau an, ahmt die Körperhaltung, Gestik und Mimik nach und sucht nach Bewegungsformen. Schreibt eine kurze Rollenbiographie für die Person. Entwickelt Körper- und Sprechhaltungen und stellt die Person bei einer Alltagsbeschäftigung vor. Schreibt auf, was die Person, die ihr übernommen habt, in der Situation mit welchen Intentionen und Gefühlen tut und was sie vorher getan hat. Stellt in der Gruppe das Bild nach. Jede nimmt die auf dem Bild sichtbare Haltung ein und erstarrt darin. Eine beginnt aus der Rolle heraus zu monologisieren: Sprich alles aus, was der Person gerade durch den Kopf geht. Wenn dir nichts mehr einfä1lt, beginnt die Nächste mit dem Monolog. Wenn ihr alle aus der Rolle heraus die Gedanken ausgesprochen habt, geht zum Spiel über. Die Spielerin der Bildproduzentin unterbricht immer wieder durch Stopp-Rufe, fragt nach den Gedanken und Gefühlen der Personen und teilt ihre eigenen mit. Brecht das Spiel ab und sagt aus den Rollen heraus, was ihr gerade erlebt habt. Zeigt eure Szenen im Plenum: Zunächst baut die Produzentin das Bild auf und interpretiert es. Dann korrigieren die Spieler das Bild nach ihrer Vorstellung. Sagt dann kurz aus der Rolle heraus, was die Personen gerade denken, und geht zum Spiel über. Wenn der Spielleiter das Spiel unterbricht, sagt aus der Rolle heraus, was ihr gerade denkt. Zeigt als Beobachter in einer Statue bzw. mit einer Stimmenskulptur, wie ihr die Haltungen und Beziehungen der Personen gesehen habt. Zeige als Produzentin in einer Statue, was du mit deinem Bild deutlich machen wolltest. Material mit Kommentaren: Mann/Schröter/Wangerin 1995; Scheller 1987b, 1995c, 1996a.

Methoden

Methodenkatalog

1. Gespräch

Gesellschaftlicher Kontext der Gesprächsproblematik Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce formulierte Ende des 19. Jhdts. ein Programm der Gemeinschaft von Forschenden, das Leitbild-Funktion für pädagogische Vorstellungen enthält: Ein gleichsam unendlicher Gesprächskreis, in den alle aufgenommen werden, die zur Sache etwas zu sagen haben (…). Ein solcher Gesprächskreis könnte mit einer kleinen Gruppe von Kindern in der Kita beginnen, eine gleichsam embryonische Erscheinung, der die Möglichkeit der endlosen Ausweitung innewohnt, das Modell für die prinzipiell unendliche Gemeinschaft des Gesprächs. Und es ließe sich zeigen, dass Kinder unter dem Vorzeichen der „veränderten Kindheit“ gerade die wechselseitige Vergewisserung der Wirklichkeit entbehren, die das Gespräch bietet. Was vermag mehr Substanz und Ordnung in ihre Vorstellungs-Welt zu bringen, die von einer Schwemme exotischer, unverarbeiteter Bilder aufgeweicht ist, wenn nicht das Gespräch? Daniel Goldhagen: “Die grundlegende Art und Weise, in der eine Kultur die Ordnung ihrer Welt begreift und repräsentiert, wird als ‚Gespräch’ bezeichnet.“ D. G., Hitlers willige Vollstrecker, Berlin 1996) Wilhelm von Humboldt sieht in der Sprache (ich übertrage: „im Gespräch“) Organon (Werk) und Ergon (Werkzeug) zugleich. Auf dem Hintergrund dieser Feststellung verfolgt das Gespräch als Werk in seiner ästhetischen Gestalt unmittelbar Ziele des Ethik-Unterrichts und des Philosophierens mit Kindern. Entlang dieser Argumentationslinie könnte wohl die besondere Hinwendung der Pädagog*innen zu Dialog und Diskurs einschließlich einer kultivierten Gesprächsdidaktik nicht nur im Ethik-Unterricht begründet werden. Beide Elemente – das Gespräch als zentrales Medium der Geistesgeschichte (Humboldt) und das Gesprächsdefizit in der modernen „veränderten Kindheit“ (laut aktueller BMFSFJ-Studie pro Tag 47 Minuten Gesprächszeit mit Kindern in der Familie!) ergänzen sich. „Kinder brauchen Gespräche“ könnte in Anlehnung an Bettelheim („Kinder brauchen Märchen“) das Motto lauten, zumal in einer Zeit, in der das Gespräch innerhalb der Gesellschaft nur mangelhaft gepflegt wird. Die Schule und damit der philosophisch orientierte Unterricht, aber auch die Kindertagesstätte würden eine Art „Insel“ inmitten des Stroms der Gesprächslosigkeit darstellen, ähnlich wie sie der Vorstellung Neil Postmans zufolge den althergebrachten, „harten“ Lehrplan der Bücher, der Anstrengung des Begriffs und der Mühsal des Übens aufrecht erhält inmitten der Wellen des „weichen Lehrplans“ des Fernsehens und des Internets, der das Bewusstsein der Heranwachsenden einer sanften Gehirnwäsche unterzieht. In diesem Zusammenhang würde durch sokratische, philosophierende Gespräche die Zerstörung der Erfahrung erst thematisierbar. Den Unterricht ent-trivialisieren heißt deshalb, die Kinder lehren, legitime Fragen zu stellen, deren Antworten nicht schon vorher bekannt sind! Ebenen, Ziele und Methoden des Gesprächs Die Aussagen von Michael Fröhlich, von David Kennedy (Northern Michigan University) und Hilbert Meyer werden in einen Zusammenhang der Gesprächsentwicklung auf drei Ebenen gebracht und mit den jeweiligen Möglichkeiten von Gesprächsformen verbunden. Fröhlich spricht in Anlehnung an Klafki vom didaktischen Dreischritt „Entwicklung, Erprobung, Prüfung“ des Philosophierens, Kennedy von den drei Dimensionen des philosophischen Gesprächs, wobei die erste Dimension wesentlich konzeptuell, also inhaltlich definiert ist, die zweite sich auf nützliche Fertigkeiten und Dispositionen auf philosophischer Ebene bezieht und die dritte schließlich für das Zusammenwirken der Individuen, die Interaktion der Individuen in einer „community of inquiry“(Forschungsgemeinschaft) Bedeutung hat, woraus sich auch die ästhetische Gestalt eines philosophischen Gesprächs ergibt. Hilbert Meyer führt das unterrichtsmethodische Modell des „dreischrittigen Lehrgesprächs“ ein, das im Kern ein fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch darstellt und hier deswegen Erwähnung findet, weil viele Lehrkräfte, die über keine oder wenig Erfahrung mit der philosophischen Gesprächsform verfügen, häufig ein vertrautes Gerüst benötigen, um sich zurechtzufinden. Struktur eines philosophischen Gesprächs (nach D. Kennedy) Gesprächskompetenzerwerb als Lernziel ür alle Unterrichtsfächer Günstige Rahmenbedingungen für den Erwerb von Gesprächskompetenz lassen sich dann schaffen, wenn Gespräche sich vom gewöhnlichen Unterrichtsbetrieb unterscheiden: Die Leistungsmessung bleibt außen vor, das Diktat der Trivialität des Stoffes hört auf. Ein Beispiel sind jene meta-unterrichtlichen Phasen, die über den „offenen Unterricht“ in manche Grundschulen Eingang gefunden haben. Gesprächskreise zu Beginn der Woche, bei denen die Kinder Interessantes berichten, jeden Morgen stattfindende Kreisgespräche zur Vorbereitung des Unterrichts, der gemeinsame Rückblick am Ende der Woche bilden herausgehobene Phasen, in denen das selbständige Miteinander-Verhandeln geübt werden kann, vor allem dann, wenn die Gesprächsleitung bei den Kindern liegt, wenn sie im Lauf der Zeit reihum geht, und wenn die Kunst der Gesprächsleitung selbst zum Gegenstand des Nachdenkens und des Gesprächs wird. Zehn Verhaltensformen, die für das Zustandekommen einer "Gesprächsgemeinschaft" dienlich sind (Raster für Unterrichtsgespräche) 1. Fragen stellen, die zur Sache führen Unstimmigkeiten, Widersprüchliches an einer Darstellung aufdecken und in einer Frage "auf den Punkt" bringen. 2. Vermutungen äußern, die eine Erklärung geben Es geht um die Kunst, Hypothesen zu bilden, die einen Zusammenhang beschreiben, der durch die einzelnen verfügbaren Daten und Beobachtungen nur bruchstückhaft in den Blick gerät. 3. Eine Meinung nicht ohne überzeugende Begründung vortragen Das Minimum an argumentativem Verhalten besteht darin, für jede vorgetragene Meinung eine Begründung zu geben, die nachvollziehbar und sachangemessen ist. 4. Beispiele und Gegenbeispiele liefern Mit Hilfe eines geschilderten Falles einen Beleg für das vertretene Prinzip oder Konzept geben, oder für ein entgegengesetztes Prinzip oder Konzept. 5. Angemessene Analogien bilden Es geht um die Kunst, ähnliche Muster und Situationen zu finden, die geeignet sind, die verhandelte Frage zu beleuchten oder einen neuen Aspekt ins Spiel zu bringen. 6. Ideen aufgreifen, die von anderen vorgetragen worden sind Gedankenstränge kooperativ stärken und weiterspinnen, die von anderen vorher ins Spiel gebracht wurden. 7. Die "andere Seite" anhören Statt sich zu verschließen, wenn die eine Seite eines Arguments plausibel vorgetragen worden ist, sich trotzdem für den Vortrag anderer Perspektiven offenhalten. 8. Vernünftige Kritik annehmen Die eigene Position nicht um jeden Preis verteidigen, sondern sich entgegengesetzte Auffassungen anhören, Argumente dafür und dagegen abwägen. 9. Andere Teilnehmende als Personen respektieren und ihnen das Recht auf Achtung erhalten Negative Kritik auf das vorgetragene Argument beschränken, aber die Person, die es vorgetragen hat, als Mensch wertschätzen, unabhängig von den negativen Gefühlen, die das Argument vielleicht ausgelöst hat. 10. Urteile fällen, die Ansprüchen von Verstand und Vernunft gerecht zu werden versuchen Bewertung und Beschreibung, Kritik und Einsicht in eine Art "Zwischenbilanz" einbeziehen. (Helmut Schreier) Zur Einübung der Technik des Zuhörens und der Entwicklung des Verständnisses seiner Bedeutung für das Zustandekommen einer Gesprächsgemeinschaft eignet sich besonders Berrie Heesens Denkgeschichte „Reden und zuhören“ (Berrie Heesen, Klein aber clever. Nachdenken und Philosophieren mit Kindern. Verlag an der Ruhr. Mühlheim 1998) „Fünf Finger einer Methodenhand“ des Philosophierens/E. Martens Wahrnehmen (Phänomenologische Kompetenz) von Alltagserfahrungen ausgehend ein Problemvorverständnis durch Schilderung von Beobachtungen und Wahrnehmungen auf die konkrete Lebenswelt beziehen o differenziert und verständlich beschreiben, was sie oder andere beobachten, erfahren, wahrnehmen oder bei sich denken o verschiedene Sichtweisen erkennen, Handlungsspielräume und den symbolischen Gehalt erlebter Situationen wahrnehmen Kreatives und fantasievolles Denken über die reine Erfahrung hinaus (Spekulative Kompetenz) Gedanken und Assoziationen in Bildern, Geschichten und Spielen entwickeln und so die vielfältigen Möglichkeiten des diskursiven und präsentativen Denkens erfahren o ungeschützte Einfälle und Fantasien äußern und spielerisch erproben sowie neue Ideen oder Hypothesen entwickeln o kreative/fantasievolle Verhaltensalternativen finden und ausführen Deuten (Hermeneutische Kompetenz) sich das eigene und fremde Vorverständnis bei der Lösung von Problemen bewusst machen, alternative Deutungen in Überlegungen einbeziehen, vor diesem Hintergrund eigene Problemfragen stellen und so ein Problemvorverständnis zur Geltung bringen o bei der Interpretation von problemorientierten Texten eigene, alltägliche Ansichten und Deutungen heranziehen o den eigenen Standpunkt überprüfen, Ursachen und Folgen des eigenen Handelns erkennen und begründen Untersuchen und Zergliedern von Sachverhalten (Analytische Kompetenz) Lösungen zu einer ausgewählten Frage finden und Antworten sammeln o bei Beschreibungen und Deutungen verwendete, zentrale Begriffe und Argumente hervorheben und prüfen o Begriffe bestimmen, Analogien und Parallelen bilden und Symbole für einen Begriff finden Denken in Gegensatzbegriffen (Dialektische Kompetenz) zwischen Lösungen wählen und bevorzugte Lösungen formulieren und begründen o unterschiedliche Positionen in Form von Alternativen und Dilemmata zuspitzen und miteinander eine Entscheidung abwägen o Hypothesen überprüfen, Tauglichkeitsprüfungen von Alternativen vornehmen und mit Vereinbarungen umgehen

2. Sokratisches Gespräch

Eine besondere Form der Gesprächsführung ist das „Sokratische Gespräch“. Beispiel: Sokratisches Gespräch zur Klärung des Begriffs „Kunst“ (nach Methode Detlef Horster, eignet sich für Kinder am ehesten) Ziel dieses Gesprächs ist es, die Meinungen der TeilnehmerInnen über alles, was Kunst ist, zu überprüfen, zu präzisieren und vielleicht zu verwerfen. Diese Meinungen sind partikulare Meinungen, bezogen auf Sachverhalte, gesellschaftliche Normen oder ästhetische Äußerungen. Diese Meinungen können nicht universell sein, weil jeder aufgrund seiner eigenen, unverwechselbaren Sozialisations- und Lebensgeschichte eine andere Weltsicht hat, die nur darum verhandelbar ist, weil sie eingegrenzt wird durch den kulturellen Rahmen, der uns allen gleichermaßen gegeben ist. Demgegenüber wird Wahrheit ihrer Natur nach als universell angesehen. Ausgehend von den partikularen Auffassungen wird etwas gesucht, worin alle übereinstimmen können. Diese Suche findet auf dem Wege der Abstraktion statt. Wahrheit im Sokratischen Gespräch heißt, dass es die Wahrheit für diejenigen ist, die in der Runde sitzen. Und das auch nur für die Zeit, in der das Gespräch geführt wird. Der erste Schritt im Abstraktionsprozess ist das Sammeln von Eigenschaften: “Welche Eigenschaften für ein Kunstprodukt könnt ihr in diesem Beispiel (gewöhnlicher Tisch in einer Schulklasse, etc.) erkennen?“ Der zweite Schritt auf dem Abstraktionsweg ist das Zusammenfassen der bisher gesammelten Eigenschaften und wenn nötig, das Sondern der Eigenschaften von den Voraussetzungen und Folgen. Es lassen sich etwa in diesem Schritt die Attribute für ein Kunstprodukt von den Attributen für ein Nicht- Kunstprodukt sondern. Der dritte Schritt ist die Frage nach weiteren Beispielen: „Seht euch die gesammelten Eigenschaften genau an und fragt auf dem Hintergrund eigener Beispiele, die euch jetzt einfallen, ob noch Eigenschaften fehlen.“ Dadurch soll das genaue Hinsehen geübt werden, das oberflächliche Betrachtungsweisen vermeiden hilft. Der vierte Schritt ist das Trennen von notwendigen und hinreichenden Eigenschaften. Notwendige Eigenschaften bei der Wesensbestimmung sind solche, die, würde man sie der Sache wegnehmen, dazu führen, dass es sich nicht mehr um diese Sache handelt, sondern um eine andere. Abstraktion heißt nun, dass wir die zufälligen Eigenschaften herausnehmen: „Denkt bitte jetzt nach, welche dieser Eigenschaften an jedem nur denkbaren Kunstprodukt erkennbar ist!“ Dann werden die Eigenschaften einzeln abgefragt: „Ist diese Eigenschaft an jedem nur denkbaren Kunstprodukt erkennbar?“ Auch hier ist der Ort für Argumentation. Der fünfte und letzte Schritt ist die Erarbeitung von wesentlichen Kriterien: „Wodurch kann ich einen Kunstgegenstand von jedem anderen beliebigen Gegenstand unterscheiden?“ Werden diese Kriterien genannt (Beispiel: -Bedeutung, die über das Geschaffene, Form und Funktion, hinausweist – zu Kunst erklären), ist es möglich, ein Kunstprodukt von allen möglichen anderen Produkten zu unterscheiden. Mit diesen Kriterien hätten wir eine Begriffsbestimmung eines „Kunstproduktes“ vorgenommen, die das Wesentliche enthält. Dieses Beispiel eines Sokratischen Gesprächs ist auf Erwachsene zugeschnitten, lässt sich aber ohne Schwierigkeiten auf die Bedingungen eines 3. oder 4. Schuljahres transformieren. Das Sokratische Gespräch eignet sich in besonderer Weise für Begriffsbestimmungen bzw. –klärungen.

3. Gedankenexperimente

Bedeutung des Gedankenexperiments für Erkenntnis- und Wissenserwerb PhilosophInnen gelten als SpezialistInnen für Gedankenexperimente und „mögliche“ Welten. Da die äußere Welt arm an möglichen, physischen Abenteuern für Kinder ist und diese sich zunehmend in künstliche Medienwelten flüchten, gewinnt diese Methode, Fäden von der wirklichen Welt in mögliche Welten zu spinnen, einen besonderen Reiz. Die Rückkehr aus der Abenteuerreise in die Wirklichkeit, ausgestattet mit den Flügeln der Fantasie und dem Kompass des urteilenden Verstandes bewirkt nicht selten die wertvolle Erkenntnis im Sinne Lichtenbergs: „Es könnte alles ganz anders und besser eingerichtet sein.“ Die Bedeutung von Fantasie, Vorstellungskraft, Einbildungskraft oder Imagination für das Gedankenexperiment veranschaulicht Eisler in seinem „Wörterbuch der Philosophie“, indem er Fantasie als „Betätigung des Geistes im Sinne der relativ selbständigen, vom Gegebenen mehr oder weniger abweichenden anschaulichen Synthese, Kombination von Vorstellungselementen zu neuen Gebilden und Zusammenhängen“ umschreibt. „Die Phantasie hat ihre eigene ‚Logik’, ihre eigenen einheitlich anschaulichen Zusammenhänge und ist zuhöchst eine Richtung derselben Geisteskraft, die im Denken zum Ausdruck kommt.“ John Dewey: „Die eigentliche Funktion der Imagination ist das Erkennen der Realität und von Möglichkeiten, die nicht unter den normalen Bedingungen der sinnlichen Wahrnehmung zutage treten können. Ihr Ziel ist, das Vergangene, Abwesende, Dunkle zu erhellen. Die bildhafte Schau und der verknüpfende Gedanke bilden nach Aby Warburg neues Wissen, menschliche Erkenntnis entsteht nach Hume und Kant aus dem Zusammenspiel von Sinneseindrücken oder Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Verstand. Einbildungskraft ist eine Grundvoraussetzung für die Bewältigung von Gedankenexperimenten. Der Fähigkeit, durch das Tatsächliche hindurch das Mögliche zu erkennen, verdankt der Mensch sich selbst und seinem bisherigen, evolutionären Erfolg. Ohne sie wäre sein Handeln niemals über das Niveau der Reflexe und Instinkte hinausgelangt. In der Entwicklung des Möglichkeitssinns sollten wir deshalb eines der vornehmsten Ziele von Bildung erblicken, denn er schärft nicht nur die sinnliche Wahrnehmung, sondern ist auch eine exzellente Schulung des analytischen Denkens. Nach Christian Wolff besteht das Geschäft der Philosophie darin, das Denkbare zu denken, das Mögliche in seiner Möglichkeit zu bestimmen, die „Bedingungen der Möglichkeit“ von etwas zu rekonstruieren, mit anderen Worten, das, woran wir glauben wollen, als möglich einzusetzen. Wesen des Gedankenexperiments Das Experiment ist ein kreatives Spiel mit dem Gegebenen. Im aturwissenschaftlichen Experiment spielen wir mit der Natur; wir wirken bewusst auf die objektive Wirklichkeit ein und verändern diese; dabei stellen wir der Natur eine kontrafaktische Frage (was würde geschehen, wenn...), mit der wir einen möglichen Sachverhalt unterstellen, worauf ja der Begriff Hypothese hindeutet. Am Anfang und Ende eines Experiments steht die Überlegung, das Denken. Einbildungskraft schafft nicht ziel-, plan- und zusammenhanglos, sondern schöpferisch und spielerisch- experimentell, indem sie eine mögliche anschauliche und gedankliche Struktur entwirft, die der Verstand dann auf Widerspruchsfreiheit, innere Stimmigkeit, Sinn und Plausibilität überprüft. Gedankenexperimente sind Ausflüge der Fantasie und des Verstandes in mögliche Welten. Hans Poser unterscheidet fünf Typen von Gedankenexperimenten: das realisierbare und realisierte, das realisierbare, aber nicht realisierte, das nicht realisierbare, das absurde und das fiktive. Nutzen von Gedankenexperimenten für einen philosophisch orientierten Unterricht und Gespräche mit Vorschulkindern Philosophieren heißt mit Gedanken spielen, Gedanken analysieren, sie nach Regeln variieren, sie mit anderen Gedanken verflechten, die Verknüpfungen von Gedanken auf ihre Reiß- und Zugfestigkeit zu testen und die Standfestigkeit von Gedankengebäuden zu überprüfen und ähnliche Operationen auszuführen. Daniel Dennett: „Es ist in der Tat eine der höchsten Berufungen der Philosophie, Mittel und Wege zu finden, um den Menschen zu helfen, den Wald und nicht nur die Bäume zu sehen.“ Mit Hilfe von Gedankenexperimenten lassen sich neue Fragen stellen, Beweisführungen entwickeln, implizite Annahmen aufdecken, Folgen von Setzungen durchspielen, Zusammenhänge aufklären, allgemeine Prinzipien demonstrieren, Denkmöglichkeiten erforschen, u. ä. . Wer Gedankenexperimente ausführt, erkundet ausgehend von den Erfahrungen des Wirklichen das Mögliche, um dem Notwendigen bzw. Nicht-Notwendigen, dem Kontingenten oder Zufälligen auf die Spur zu kommen. Gedankenexperimente als „Intuitionspumpen“ haben neben ihrer Erkenntnis- auch eine bedeutsame pädagogisch-didaktische Funktion. Ihre Anschaulichkeit und Konkretheit, ihr nicht selten phantastischer und bizarrer Charakter und ihr emotionaler Gehalt „versüßen“ das in ihnen verschlüsselte philosophische Problem und locken den philosophischen Neuling zu Ausflügen in mögliche, gedankliche Welten, die seine ganze Denk- und Vorstellungskraft herausfordern. Da man mit Kant und Wittgenstein zufolge nicht Philosophie, wohl aber philosophieren lernen kann, kommt alles auf das Erlernen des philosophischen Tuns, das im Experimentieren mit Gedanken (und mit Sprache) besteht, an. Gianni Rodari zitiert Novalis’ Wort „Hypothesen sind Netze, nur der wird fangen, der auswirft“: „Die Wirklichkeit kann man durch den Haupteingang betreten, aber auch durch ein Fensterchen in sie hineinschlüpfen, was viel vergnüglicher ist.“ Beispiele für ein Gedankenexperimente: „Wenn alle Dinge zu Rauch würden“... Begrenztheit der sinnlichen Wahrnehmung im Hinblick auf die Möglichkeit von Erkenntnis, Wissen und Wahrheit. „Wenn alle Menschen in Dörfern lebten ... Abhängigkeit menschlichen Denkens, menschlicher Lebenswirklichkeit von seiner Lebensumwelt. Ernst Mach, „Erfinder“ des Begriffs „Gedankenexperiment“: „Der Projektemacher, der Erbauer von Luftschlössern, der Romanschreiber, der Dichter sozialer und technischer Utopien experimentiert in Gedanken. Aber auch der Kaufmann, der ernste Erfinder oder der Forscher tut dasselbe. Alle stellen sich Umstände vor und knüpfen an diese Vorstellung die Erwartung, Vermutung gewisser Folgen; sie machen eine Gedankenerfahrung. Während aber die ersteren in der Phantasie Umstände kombinieren, die in Wirklichkeit nicht zusammentreffen, oder diese Umstände von Folgen begleitet denken, welche nicht an dieselben gebunden sind, werden letztere, deren Vorstellungen gute Abbilder der Tatsachen sind, in ihrem Denken der Wirklichkeit sehr nahe bleiben. Auf der mehr oder weniger genauen unwillkürlichen Abbildung der Tatsachen in unseren Vorstellungen beruht ja die Möglichkeit der Gedankenexperimente. Beispiel für unser Thema: Kinderbuch „Paul allein auf der Welt“,

4. Szenische Interpretation

(Ingo Scheller)

Eine verhältnismäßig neue Methode, Texte gedanklich zu erschließen, ist das „Szenische Interpretieren“, das im Unterschied zum diskursiven vornehmlich das präsentative Denken verlangt. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Texten aus dem Leserepertoire der Grundschule, der verschiedenen Jahrgangsstufen und der zeitlichen Möglichkeiten innerhalb eines philosophisch orientierten Unterrichts(in Einzelfällen auch in der Kita möglich und erprobt) schlage ich die folgenden Methoden des szenischen Interpretierens vor: Standbild als Unterbrechen von Handlungsabläufen Diese Standbilder entstehen durch Unterbrechen von Handlungsverläufen an bestimmten Stellen durch „Stopp- Rufe“. Die Spielenden erstarren in ihren Haltungen. Das Ganze gleicht einem Schnappschuss. Mögliche Deutungen: Erkundung von Gedanken und Gefühlen, indem die Spieler aus ihren Rollen heraus sagen, was sie gerade denken. Die Projektionen der Beobachter werden sichtbar gemacht, indem diese nacheinander hinter die Personen treten, ihnen die Hand auf die Schulter legen und in Ichform sagen, was diese ihrer Meinung nach gerade denken. Standbild als Einnehmen und Zeigen von Haltungen Die Teilnehmer erstarren in Haltungen, die zeigen, wie sie zu bestimmten Situationen, Personen und Ereignissen stehen. Die Spieler entscheiden selbst über ihre Haltung und suchen nacheinander ihre Position auf. Sie verlassen das Standbild in umgekehrter Reihenfolge. Mögliche Deutungen: Gedanken und Gefühle öffentlich machen, indem die Spieler aus ihrer Rolle heraus sagen, was sie gerade denken und empfinden. Projektionen der Beobachter verdeutlichen(siehe oben)und Spieler veranlassen, jene Zuschreibungen zu benennen, die ihren Vorstellungen am nächsten kommen. Fragen der Beobachtenden an einzelne Personen im Standbild. Die Antworten erfolgen aus der jeweiligen Haltung heraus. Situationsbezogene Standbilder Situationen werden auf einen bestimmten Moment zugespitzt als Bilder aufgebaut und gestaltet. Die Hauptspielerin sucht aus der Gruppe die Darstellerinnen aus und formt deren Haltungen. Dabei wird nicht gesprochen. Haltungen werden modelliert, die Mimik hingegen vorgemacht und anschließend „eingefroren“. Mögliche Deutungen: Zunächst erläutert die Hauptspielerin ihr Standbild in Bezug zu dargestelltem Text und /oder Bild. Um welche Situation geht es? Was geschieht? Wo und wann genau findet die Szene statt? Wer sind die Personen und was machen sie gerade? Die Hauptspielerin tritt nacheinander hinter die dargestellten Personen, legt ihnen die Hand auf die Schulter und spricht ihre Gedanken aus. Abweichende Deutungen von Beobachtern und Spielerinnen werden ausgesprochen. Statuen bauen Statuen sind Skulpturen bzw. Denkmäler. Sie zeigen den Grundgestus, den Titel von Szenen, Haltungen, Beziehungen. Sie abstrahieren, verallgemeinern und bringen bildlich auf den Begriff. Szenisches Lesen Der Text wird gelesen, indem reihum jeweils ein Satz vorgetragen wird. Dabei sollen unterschiedliche Intonationen erprobt werden. Dadurch können unterschiedliche Haltungen und Bedeutungen sichtbar gemacht werden. Daraus entstehen Rollenvorstellungen, die die Beziehungen zwischen Personen bzw. Positionen definieren. Szenisches Spiel Spieler handeln aus detaillierten Rollen- und Szenenvorstellungen heraus in vorgestellten Situationen. Es geht nicht nur um die szenische Erkundung und Darstellung, sondern auch immer um das, was die Spieler in der Rolle und der Szene von sich zeigen und erfahren. Alle Aussagen zitiert nach Ingo Scheller, Szenisches Spiel, Berlin 1998 Szenisches Interpretieren am Beispieldes Kinderbuchs „Was ist das? fragt der Frosch“ Max Velthuijs, Verlag Sauerländer 1. Es handelt sich stets um die Inszenierung von Situationen, in denen Kinder ihre Vorstellungen zu einem Thema symbolisieren. 2. Verhaltensmuster werden von Kindern angeeignet und erprobt. 3. Bei Vorschulspielen (Rollenspielen) handelt es sich jeweils um erlebte, nicht symbolisierte Realität, da diese nicht reflektiert wurde. 4. Szenisches Spiel ist symbolisierte Handlung, aus der das Kind immer wieder aussteigen kann. 5. Im Spiel wird aus der Rolle eine Figur, im Handeln werden über das Leibgedächtnis frühere Erfahrungen aktiviert. 6. Szenisches Interpretieren könnte die dem Philosophieren adäquate Form der präsentativen Deutung sein (im Unterschied zur diskursiven). Das Beispiel zum o.g. Kinderbuch: Die Kinder denken über Tiernamen nach, suchen sich ein Tier aus, interviewen sich gegenseitig. Körperhaltung, Gestik, etc. des ausgesuchten Tieres werden geübt. Jedes Kind interpretiert sein „Schwein“ selbst (soziale Komplexität einer Lerngruppe wird sichtbar). Es stellt sein „Schwein“ vor. Es werden Bilder des Buches eingefügt, z. B. „Wie geht der Hase?“ Es wird ein entsprechender Raum mit wenigen Hilfsmitteln als Spielfläche umgebaut, die Kinder beschreiben den Raum, z. B. anhand der Frage „Wo ist die Landschaft (aus dem Buch)?“ Tiergruppen sitzen in vier Ecken, während das Buch vorgelesen wird. Die Geschichte wird an bestimmten Stellen unterbrochen und die Frage gestellt: „Was denkt das Tier gerade?“ Die Antworten der Kinder sollen sich in der Regel auf einen Satz beschränken. Beispiel: Der Frosch steht auf der Leiter. Was denkt er? Auf diese Weise wird ein „innerer Dialog“ ausgelöst. Es wird das eingebracht, was das Leben außerhalb des Bilderbuchs darstellt. Beispiel einer weiteren Unterbrechung: Entdeckung der toten Amsel. Eine situationsbezogene Rollenbefragung ist an dieser Stelle angebracht. Der Frosch steht vorn (oder sitzt auf einem Stuhl), die Kinder treten mit situationsbezogenen Gedanken, die für den Frosch in „Ich“-Form ausgesprochen werden, hinter den Frosch. Die Äußerungen werden von der Lehrkraft zu einem Stimmenorchester komponiert und dirigiert. Die Kinder werden von der Froschfigur je nach Bedeutung ihrer Antworten für den Frosch nach vorn, in die Mitte oder nach hinten gestellt. Wir lernen, was Kinder tatsächlich in der Rolle denken und geben ihnen dabei „Rollenschutz“. Während des Stimmenorchesters reflektiert die Figur unwillkürlich über die Frage: “Was passiert in mir?“ Wir können auf diese Weise etwas auf einen Begriff bringen, ohne einen Begriff zu machen. Die Beerdigungsrituale werden gespielt, das Nachstellen kann zum Beispiel in Geschlechtergruppen erfolgen. Es wird eine bestimmte Haltung fixiert, wodurch das Aufkommen der Gefühle, zum Beispiel Trauer, ermöglicht wird (Standbild). Die Schlussszene sollte gespielt oder als Standbild dargestellt werden. Texttheater Eine Alternative zum Vorlesen und eine Übung zum Erwerb von Deutungskompetenz: Das TEXTTHEATHER! Welche Spielregeln gelten für das Texttheater? Die wichtigste Spielregel lautet, dass der Wortlaut der Zitate nicht verändert werden darf, wohl jedoch durch Art und Weise des Vortrages variiert und dadurch in seiner Aussage bekräftigt, verfremdet oder karikiert werden soll: Die Zitate können monoton oder gehetzt, im Sing-Sang, mehrfach wiederholend, unterschiedlich betonend vorgetragen werden Sie können im Befehlston, in Frageform, ironisch, sarkastisch oder naiv vorgetragen werden Die gewünschte Deutung des Zitats kann durch Körpersprache, Pantomime, durch Sprechpausen, rhythmisches Klopfen, usw. verdeutlicht werden Variierendes Wiederholen Polarisieren durch Gegenüberstellung einander widersprechender Zitate. Es finden Deutungen auf zwei Ebenen statt: Durch den Dirigenten und individuell durch jede Mitwirkende. Eva Zoller Morf, die Schweizer Kinderphilosophin, sieht den Beginn einer philosophischen Denkbewegung stets im „Hinterfragen einer gegebenen Situation“. Genau dazu bietet das Texttheater vielfältige Möglichkeiten. Mit anderen Worten: Wir erleben mehr als das, was sich durch mechanisches Dekodieren eines Textes erreichen lässt!! Zudem verhilft es Kindern, auch wenn sie nur wenige Vorkenntnisse mitbringen, zu einem zugleich spielerischen und aktiv –fragenden Umgang mit Texten. Szenische Interpretation von Bildern Bilder bringen in erstarrter Form und in einer bestimmten Perspektive Momente einer Geschichte zur Erscheinung. Als Ausschnitte, Reduktionen und Interpretationen geben sie visuelle Einblicke in Lebensräume, natürliche und soziale Zusammenhänge, in Gegenstände, Haltungen und Handlungen von Menschen unterschiedlicher Epochen, Kulturen und Schichten. Bilder werden gemacht: Die Wahl des Motivs, die Inszenierung des Ausschnitts, die Festlegung der Perspektive, die Darstellungsweise und das Material ermöglichen eine Vielzahl von Realitätstäuschungen und Inszenierungen ökonomisch und ideologisch verwertbarer Vor-Bilder der Selbstdarstellung, Identitätsbildung und Wunschbefriedigung. Bei der szenischen Interpretation werden Bilder als Momentaufnahmen von Szenen aufgefasst, die sich die Teilnehmer vorstellen, in die sie sich einfühlen, in denen sie handeln, die sie perspektivisch erleben, verfremden und historisieren. Dabei kann ihnen nicht nur bewusst werden, dass Bilder perspektivische und interessengeleitete Entwürfe und Konstruktionen sozialer Wirklichkeit sind, sie können auch erfahren, welche Wünsche, Bedürfnisse und Lebensentwürfe durch Bilder bei ihnen angestoßen und in bestimmter Weise interpretiert werden. Sucht euch das Bild aus, das euch am meisten anspricht. Baut es als Standbild auf und sucht den Ort im Bild oder außerhalb des Bildes, der euch am meisten interessiert. Erläutert im Gespräch mit dem Spielleiter eure Sichtweise. Schaut euch die Bilder genau an. Achtet dabei vor allem auf die Kleidung, die Körperhaltungen und die Interaktionen der abgebildeten Personen. Stellt euch vor, ihr seid genauso gekleidet. Erprobt entsprechende Geh-, Steh- und Sitzhaltungen sowie Interaktionsweisen. Sucht euch ein Bild aus, das ihr genauer interpretieren wollt - zusammen mit Partnerinnen. Schaut euch das Bild genau an und klärt die abgebildete Situation so genau wie möglich. Baut mit Hilfs-Objekten den Raum auf, beschreibt ihn de- tailliert und sucht den Ort und die Haltung, die ihr im Raum einnehmen würdet. Begründet eure Position. Verteilt die Rollen der Personen, die auf dem Bild sicht- bar sind. Eine übernimmt die Rolle der Malerin bzw. Fotografin. Schaut euch die Person, in die ihr euch einfühlen wollt, noch einmal genau an, ahmt die Körperhaltung, Gestik und Mimik nach und sucht nach Bewegungsformen. Schreibt eine kurze Rollenbiographie für die Person. Entwickelt Körper- und Sprechhaltungen und stellt die Person bei einer Alltagsbeschäftigung vor. Schreibt auf, was die Person, die ihr übernommen habt, in der Situation mit welchen Intentionen und Gefühlen tut und was sie vorher getan hat. Stellt in der Gruppe das Bild nach. Jede nimmt die auf dem Bild sichtbare Haltung ein und erstarrt darin. Eine beginnt aus der Rolle heraus zu monologisieren: Sprich alles aus, was der Person gerade durch den Kopf geht. Wenn dir nichts mehr einfä1lt, beginnt die Nächste mit dem Monolog. Wenn ihr alle aus der Rolle heraus die Gedanken ausgesprochen habt, geht zum Spiel über. Die Spielerin der Bildproduzentin unterbricht immer wieder durch Stopp- Rufe, fragt nach den Gedanken und Gefühlen der Personen und teilt ihre eigenen mit. Brecht das Spiel ab und sagt aus den Rollen heraus, was ihr gerade erlebt habt. Zeigt eure Szenen im Plenum: Zunächst baut die Produzentin das Bild auf und interpretiert es. Dann korrigieren die Spieler das Bild nach ihrer Vorstellung. Sagt dann kurz aus der Rolle heraus, was die Personen gerade denken, und geht zum Spiel über. Wenn der Spielleiter das Spiel unterbricht, sagt aus der Rolle heraus, was ihr gerade denkt. Zeigt als Beobachter in einer Statue bzw. mit einer Stimmenskulptur, wie ihr die Haltungen und Beziehungen der Personen gesehen habt. Zeige als Produzentin in einer Statue, was du mit deinem Bild deutlich machen wolltest. Material mit Kommentaren: Mann/Schröter/Wangerin 1995; Scheller 1987b, 1995c, 1996a.